Konzept: Eine Refugee Law Clinic für Hannover

Niclas Stock Verein

Leitgedanke

„Ohne das Prinzip Hilfe hat das Prinzip Hoffnung keine Chance.“

(Manfred Hinrich)

 

Blickt man dieser Tage auf den Weißekreuzplatz in Hannover, sollte einem bewusst werden, dass Not keine Staatsgrenzen kennt. Im Gegenteil: humanitäre Not findet vor unserer eigenen Haustür statt; sie ist zum Greifen nah.

Mag Hilfe auch als sittliche Selbstverständlichkeit gelten, tritt sie im Rummel unseres Alltags doch allenfalls als Randerscheinung auf: „Helfen? Natürlich, immer – aber nicht jetzt.“

Im Bewusstsein einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung ist die RLC Hannover gewillt, Geflüchteten ein karitatives Hilfsangebot zu unterbreiten. Nach amerikanischem Vorbild versteht sie sich als eine unbürokratische Anlaufstelle in ausländer- und asylrechtlichen Fragestellungen. Daneben trägt die RLC Hannover gerade mit ihrer interdisziplinären Ausrichtung dem Anspruch nach einer umfassenden Hilfe Rechnung. Aus Überzeugung erkennt die RLC Hannover: Solidarität ist die vollkommenste Form unseres Zusammenlebens.

I. Was ist eine Refugee Law Clinic?

Eine Law Clinic bzw. eine Legal Clinic ist eine Einrichtung, bei der Ratsuchende zu Jurastudierenden kommen können und eine kostenlose Rechtsberatung unter anwaltlicher Betreuung erhalten. Egal ob jemand Probleme mit VermieterInnen hat oder eine Waschmaschine defekt ist und der oder die VerkäuferIn diese nicht zurücknehmen möchte: im Alltag werden wir immer wieder mit juristischen Problemen konfrontiert, die oft nicht ohne fachliche Expertise zu lösen sind. Manchmal reicht hierfür auch schon der Rat eines erfahreneren Studierenden aus, um die nächsten Schritte zu besprechen. Denn häufig wird dann anwaltlicher Rat nicht in Anspruch genommen und ein etwaiger Anspruch nicht geltend gemacht. Hier setzen häufig die Law Clinics an.

Für die einzelnen Beteiligten stellt eine Law Clinic eine win-win-Situation dar. Der oder die Ratsuchende erhält eine kostenlose Rechtsberatung. Aber auch die Jurastudierenden profitieren von dieser Arbeit: sie sammeln neben dem sehr theorielastigen Studium erste Erfahrungen für ihre spätere anwaltliche Tätigkeit.

An der juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover gibt es bereits eine solche Legal Clinic. Studierende beraten und Studierende werden beraten. Grundsätzlich beschränkt sich der Inhalt dieser Legal Clinic aber auf zivilrechtliche Probleme, wie eben die kaputte Waschmaschine.

Es gibt aber über diese zivilrechtlichen Probleme hinaus auch andere Themen, wo Personen auf eine juristische Beratung angewiesen sind. Viele Bedürftige, wie die Geflüchteten (=Refugees), die im Moment nach Deutschland kommen, haben häufig schon das Problem, dass sie die Behördenbriefe gar nicht verstehen. Eine Person, die ihnen diese Briefe übersetzt ist oftmals nicht vorhanden. Und ohne den Inhalt eines solchen Briefes zu kennen ist es auch unmöglich zu verstehen was für Konsequenzen aus diesen Briefen hervorgehen können.

Da sowohl die finanziellen Mittel der Refugees als auch die zeitliche Kapazität der AnwältInnen limitiert sind, möchte der Verein eine Möglichkeit schaffen beide Gruppen zu entlasten.

Studierende sollen den Geflüchteten beim Verstehen der Briefe helfen. Sie sollen die nächsten Schritte mit den MandantInnen besprechen, Behördengänge erledigen und selbst Aufgaben übernehmen, die nicht zwangsläufig durch einen Profi ausgeführt werden müssen oder können. Auch dem teil problematischen Umgang der Behörden mit den Refugees kann durch die Untersetzung durch Studierende begegnet werden.

Das funktioniert in einigen anderen Städten bereits sehr gut. Zu nennen sind insbesondere Gießen, Köln und München. Es sind aber überall im Lande Refugee Law Clinics am entstehen: Berlin, Hamburg, Leipzig, Trier usw.

II. Wie ist der Verein strukturiert?

Neben einem dreiköpfigen Vorstand, der insbesondere die Repräsentation des Vereins nach innen und nach außen, sowie die Fragen zu den einzelnen Mitgliedschaften verantworten soll, gibt es einen ReferentInnenkreis, der den Vorstand bei der inhaltlichen Arbeit entlasten soll.

In verschiedenen Arbeitsgruppen (=Referate) soll die juristische Ausbildung von Studierenden auf dem Gebiet des Flüchtlingsrechts forciert und mögliche Kooperationen mit anderen Einrichtungen, Vereinen und Institutionen angestrebt werden.

An den Verein unmittelbar angegliedert ist der Beirat, der überwiegend aus AnwältInnen, die in diesem Rechtsgebiet tätigt sind, besteht. Aber auch an sich fachfremde AnwältInnen sowie ProfessorInnen können den Verein auf diese Weise unterstützen. An anderen Refugee Law Clinics in Deutschland finden sich zudem PsychologInnen wieder, die Studierende für den Umgang mit den Geflüchteten sensibilisieren.

III. Wie sieht das Ausbildungskonzept aus?

Das Thema Asyl- und Aufenthaltsrecht gehört in der juristischen Ausbildung an den Universitäten nicht zum Pflichtstoff. Aufgrund der Komplexität, die dieses Rechtsgebiet mit sich bringt, ist eine Aus- und Weiterbildung in dieser Problematik für die beratenden Studierenden jedoch unabdingbar.

In regelmäßig stattfindenden Vorlesungen sollen PraktikerInnen die Studierenden in diese Thematik einführen. Denkbar wäre, dass den Studierenden zunächst die historische Entwicklung des Asylrechts aufgezeigt und in den folgenden Vorlesungen das aktuell geltende Asylrecht vermittelt wird.  Zugleich wäre es sinnvoll, dass prozessrechtliche Kenntnisse, etwa die Relevanz von Fristen, gelehrt werden.

Da im Vordergrund die spätere praktische Arbeit stehen soll, erscheint es zielführend den Studierenden aufzuzeigen, wie man im Schriftwechsel mit einer Behörde auftritt. Denkbar wäre es beispielsweise, einen praktischen Fall vom Zeitpunkt der Antragsstellung bis zur Aufenthaltsgenehmigung durchzuspielen. An diesem Fall ließe sich zeigen, welche Schritte von einem Studierenden durchgeführt werden können und ab wann der Fall besser an die Anwaltschaft abgegeben werden sollte.

Über die juristische Expertise hinaus, sollen die Studierenden durch bestimmte soft-skills auf die Beratungssituation vorbereitet werden. Ziel dabei ist es, die Studierenden für die Sorgen und Nöte der Refugees zu sensibilisieren und sie auch für den Umgang mit häufig schwer traumatisierten Menschen zu schulen.

In der näheren Zukunft ist zu klären, welche PraktikerInnen für die juristische Ausbildung in Betracht kommen. Das genaue Ausbildungskonzept sowie die inhaltliche Ausrichtung der Vorlesungen lässt sich nur mit diesen PraktikerInnen entwickeln.

IV. Wie erfolgt die Zusammenarbeit mit den AnwältInnen?

Zusammen mit der Anwaltschaft ist ein Konzept zu erarbeiten, welche Problematiken autonom von den beratenden Studierenden übernommen und welche Themen nur in enger Zusammenarbeit mit einer oder einem AnwältIn behandelt werden können.

Dabei gilt es die zur Verfügung stehenden Ressourcen, wie die Zeit der AnwältInnen und die finanziellen Mittel der Refugees, so einzusetzen, dass dem Refugee eine umfassende Beratung angeboten werden kann.

Beispielsweise haben manche AnwältInnen aufgrund der hohen Nachfrage nur noch die Zeit, sich um den Aufenthaltsstatus des Geflüchteten zu kümmern. Weniger brisante Themen wie dem Wunsch des Menschen, in einer anderen Unterkunft untergebracht zu werden, können manchmal nur oberflächlich behandelt werden oder bleiben ganz auf der Strecke.

In einem engen Austausch mit der Anwaltschaft sollen mögliche Tätigkeitsfelder für die beratenden Studierenden ausgearbeitet und das Themenspektrum so aufgeteilt werden, dass alle Beteiligten profitieren und sich das Beratungsangebot für den geflüchteten Menschen nachhaltig verbessert. Wir treten dabei nicht in Konkurrenz zur anwaltlichen Beratung sondern wollen diese nur ergänzen.

Auch bei der an sich autonomen Tätigkeit der Studierenden soll eine fachliche Supervision, etwa durch die PraktikerInnen des Beirats, gewährleistet werden. Die Studierenden sollen die Möglichkeit bekommen, Fragen zu einem Fall oder das weitere Verfahren mit der Anwaltschaft über Telefon oder E-Mail abzustimmen zu können. Darüber hinaus arbeiten wir an einem elektronischen Mandatssystem, das Datenschutz und Datensicherheit Rechnung trägt.

Durch diese anwaltliche Supervision soll § 6 Abs. 2 RDG Rechnung getragen werden.

V. Wie möchte die Refugee Law Clinic mit anderen Institutionen, Organisationen und Vereinen kooperieren?

In Hannover und der Umgebung gibt es bereits unterschiedliche Vereine, Organisationen und Einzelpersonen, die Refugees in ihrem Asylverfahren, bei ihren ersten Schritten in Hannover oder im alltäglichen Leben zur Seite stehen. Die Refugee Law Clinic versteht sich als Teil dieses Netzwerkes aus hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften.

Statt auf Isolation setzen wir auf gegenseitige Unterstützung und Austausch mit anderen Institutionen. Jede Organisation und jede Einzelperson bringt individuelle Erfahrungen und Expertisen in die Begleitung  von Geflüchteten ein, so dass alle voneinander profitieren und letztlich eine bestmögliche Unterstützung für die Refugees geboten werden kann.

Unser UnterstützerInnenkreis soll Menschen aus allen Berufs- und Bildungsgruppen ansprechen. Studierende sind ebenso gefragt wie PraktikerInnen unterschiedlichster Professionen, denn wir sind davon überzeugt, dass jeder etwas kann oder weiß, was sich weiterzugeben lohnt.

Aus diesem Grund sind wir froh und dankbar über Anregungen und Tipps derer, die bereits in Beratung und Unterstützung von Geflüchteten tätig sind, und freuen uns, mit unseren Erfahrungen und Engagement zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit beitragen zu können.

Um diese zu ermöglichen, sollten Zuständigkeitsbereiche und mögliche Überschneidungen definiert werden und gemeinsam ideale Handlungsweisen, Strukturen, Kommunikationswege und ausbaufähige Bereiche herausgearbeitet werden. Wie können wir Refugees bestmöglich beraten und ihnen lange Wege zwischen den einzelnen Organisationen ersparen? Wie gelingt es, gemeinsam statt aneinander vorbei zu agieren? Diese und weitere Fragen stehen exemplarisch für diesen Prozess der Zusammenarbeit.

Für uns sind Vernetzung, Austausch und Solidarität wichtige Meilensteine, um Refugees auf ihrem Weg in ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben zu begleiten.

Die Refugee Law Clinic ist offen für verschiedene Formen der Kooperation und freut sich auf eine solidarische Zusammenarbeit mit Ihnen.

VI. Mit welchen anderen Studiengängen und Fachrichtungen ist eine Kooperation wünschens- und erstrebenswert?

Ein zentrales Element in der Arbeitsweise der Refugee Law Clinic ist Interdisziplinarität. Insbesondere die Universität mit ihren zahlreichen Fachrichtungen und die dort studierenden Menschen mit ihren Ideen und Potentialen stellen eine große Ressource für gesellschaftliches Engagement dar.

Die Refugee Law Clinic macht es sich zur Aufgabe, die Sensibilität der Studierendenschaft für die prekäre Situation von Refugees in Deutschland zu stärken und das Engagement von interessierten Studierenden für geflüchtete Menschen zu erleichtern.

Langfristig sollen Kooperationen mit verschiedenen Instituten und Fachräten der Leibniz Universität und der (Fach-) Hochschulen in Hannover angestrebt und institutionalisiert werden.

Für uns an wichtiger Stelle stehen Lehramtsstudierende, SprachwissenschaftlerInnen, oder kurz gesagt all jene, die einem Refugee die deutsche Sprache und Schrift vermitteln können. Nicht minder wichtig sind die Fachrichtungen Medizin und Psychologie, welche ein hilfreiches Bindeglied zwischen FachärztIn/ PsychologIn und Refugee darstellen können. Denkbar wäre die Vermittlung, Erklärung von Fachbegriffen, Vorbereitung von Gutachten uvm. Auch Studierende der Sozialen Arbeit sind herzlich eingeladen, die Beratungstätigkeit der Refugee Law Clinic zu unterstützen.

Daneben sind Fachrichtungen gefragt, mit welchen ein Refugee an seinem Arbeitsplatz in Berührung kommt. Als Beispiel dafür kann das Einüben grundleger Mathematik durch Studierende der MINT-Fächer fungieren. Dieser Gedanke lässt sich je nach Einzelfall in fast jede Fachrichtung weiterführen.

Studierende der Sozialwissenschaften können eine nützliche Hilfe im Umgang mit diversen Behörden werden und Debattier- und Diskussionsrunden könnten z.B. durch Politik- und Philosophiestudierende geführt werden, um das öffentliche Interesse für unsere Belange zu gewinnen. Denkbar ist weiterhin die Integration der Refugees in sportliche Gruppierungen durch Sportstudierende.

Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt und wir hoffen, ein möglichst breit gefächertes Angebot realisieren zu können, um ein koordiniert arbeitendes Netzwerk aus Studierenden und Geflüchteten aufzubauen. Dabei verlieren wir das Ziel, eine Rechtsberatung für geflüchtete Menschen zu realisieren, nicht aus den Augen.

Wir hoffen, Studierenden zu motivieren, soziale Inhalte und Kompetenzen über ihr jeweiliges Fach hinaus zu erlernen und damit zu einer offenen und solidarischen Gesellschaft beizutragen.

VII. Versicherungen

Neben einer normalen Vereinshaftpflichtversicherung werden wir zwangsweise auch eine Berufshaftpflichtversicherung benötigen. Die anderen Refugee Law Clinics haben da glücklicherweise bereits Vorarbeit geleistet und bei den größeren Versicherern spezifische Angebote entwickeln lassen, die demnächst eingehen sollten. Eine Beratung ohne Versicherungsschutz ist für uns keine Option.

VIII. Kosten

Eng mit den Versicherungen verknüpft ist auch der Punkt Kosten. Wir gehen derzeit davon aus, dass wir die Berufshaftpflichtversicherung nicht aus den Mitgliedsbeiträgen zahlen können werden.

Dazu kommen Kosten für die IT-Infrastruktur, die wir zur effektiven Beratung benötigen. Auch diese Kosten werden mit zunehmender Mitgliederanzahl steigen, so dass wir irgendwann evtl. einen eigenen Server brauchen. Dies wäre darüber hinaus auch aus Datenschutzgesichtspunkten vorteilhaft.

Aber nicht nur dafür werden wir Gelder benötigen. Auch die Ausbildung muss gewährleistet werden, so dass wir ggf. Reisekosten für externe Dozierende bereitstellen müssen. Dazu kommen Anschaffungskosten für Literatur, Bürokosten und und und.

IX. Wie ist die Refugee Law Clinic Hannover bundesweit vernetzt?

Die Refugee Law Clinic Hannover ist Teil eines Netzwerkes deutscher Refugee Law Clinics. Bei einem jährlich stattfindenden Treffen werden Erfahrungen aus der täglichen Arbeit vor Ort ausgetauscht und gemeinsame Ziele und Vorhaben festgelegt. Zudem steht das Netzwerk in einen engen Kontakt mit Praktikerinnen und Praktikern, um das Beratungsangebot für die Geflüchteten noch weiter auszubauen.

Die Refugee Law Clinic Hannover profitiert im Moment sehr stark von den Erfahrungen, die andere Standorte bei ihrer  Vereinsgründung und Aufbauarbeit gesammelt haben. Wir hoffen, dass wir mit unseren Erfahrungen auch andere Standorte, die sich aktuell in der Gründungsphase befinden oder die erste Überlegungen zur Gründung einer Refugee Law Clinic anstellen, bereichern können.